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„Krisensituationen verleihen mir große Kraft“

H.WiegersUwe Rau, der neue Flüchtlingspfarrer im südlichen Rheinland-Pfalz

Am 30. Oktober 2020 wird der neue Pfarrer für Flüchtlingsarbeit im südlichen Rheinland-Pfalz, Pfarrer Uwe Rau, in der evangelischen Versöhnungskirche in Ingelheim unweit seines Arbeitsplatzes, der Ingelheimer GfA, feierlich vom Propst für Rheinhessen und Nassauer Land, Dr. Klaus-Volker Schütz, in sein Amt eingeführt.

„Eines Tages saß ein junger Mann aus Eritrea bei mir im Gottesdienst. Wir kamen ins Gespräch und ich habe ihn zum Essen zu uns Nachhause eingeladen.“ Mehr als sieben Jahre ist es her, dass Uwe Rau, damals noch Pfarrer in der Kirchengemeinde in Maintal-Hochstadt, seinen ganz persönlichen Zugang zu dem Thema „Flüchtlinge“ fand. Denn schon damals, zwei Jahre vor der großen Flüchtlingswelle von 2015 erfuhr der Theologe, wo die viel beschworene deutsche Willkommenskultur häufig endet, denn es stellte sich als äußerst schwierig heraus, eine Wohnung für die junge Familie des Eritreers zu finden.

Aktiv in der Ökumene, im Partnerschaftsausschuss und dem AK Asyl

„Außerdem bekam ich, als ich den jungen Mann bei seinen Behördengängen begleitete, schon mit, wie schwierig es für Migranten ist, die Anforderungen der Ämter zu erfüllen.“ Als Gemeindepfarrer hatte Rau zu diesem Zeitpunkt in seinem Kirchenkreis die Beauftragung für den Arbeitsbereich Ökumene und Weltverantwortung. Er leitete den Partnerschaftsausschuss des Kirchenkreises Hanau mit dem südafrikanischen Madikwe und engagierte sich nach 2015 im Arbeitskreis Asyl Maintal. Dieser Arbeitskreis unterstützte die Flüchtlinge nicht nur in ihrem Alltag. Er förderte auch den interkulturellen Austausch.

Etwas Neues anfangen, aber das Alte nicht lassen

Nach 28 Jahren als Gemeindepfarrer wünschte sich Uwe Rau mehr Zeit für die Seelsorge. „Es war schon immer mein Wunsch“, erklärt der heute 57-Jährige, „die breit aufgestellte Gemeindearbeit gegen eine Aufgabe einzutauschen, bei der ich meine Gaben gezielter einbringen und meine Erfahrungen vertiefen konnte.“ So lag es nahe, dass er sich um die seit Anfang 2019 vakante Stelle des Pfarrers für Flüchtlingsarbeit im südlichen Rheinland-Pfalz und des Seelsorgers in der Ingelheimer Gewahrsamsanstalt für Ausreisepflichtige (GfA) bewarb. „Ich wollte etwas Neues anfangen“, erinnert er sich, „und gleichzeitig das Alte nicht lassen, denn ich habe mich in Hochstadt sehr wohl gefühlt. Und so halbierte er zunächst seine Gemeindepfarrerstelle und arbeitete mit einer halben Stelle als Flüchtlingspfarrer.“ Seit 1. Juli 2020 hat er die Stelle ganz übernommen und wird am 30. Oktober 2020 in der evangelischen Versöhnungskirche in Ingelheim unweit seines Arbeitsplatzes, der Ingelheimer GfA, feierlich vom Propst für Rheinhessen und Nassauer Land, Dr. Klaus-Volker Schütz, in sein Amt eingeführt. 

Beratende und informierende Funktion – Thema „Drinnen und Draußen“

Seine jetzige Aufgabe hat nun viel mit dem Thema „Drinnen und Draußen“ zu tun. Als Pfarrer für Flüchtlingsarbeit muss er mit Bildungsveranstaltungen dafür Sorge tragen, den Menschen „Drinnen“ in den Kirchengemeinden zu vermitteln, warum Menschen von „Draußen“ nach Deutschland flüchten und was es heißt, auf der Flucht zu sein, auch – und vielleicht gerade – weil derzeit nicht mehr so viele Flüchtlinge in Deutschland ankommen.  Dazu unterstützt er die in der Flüchtlingshilfe aktiven Gemeinden, sei es nun beratend in Zeiten des Kirchenasyls oder mit Vorträgen über die Situation der Flüchtlinge, wie z. B. jüngst im Rahmen eines Informationsabends über Flüchtlingspatenschaften in der evangelischen Kirchengemeinde Guntersblum. „Es gibt aber noch ein ‚Drinnen und Draußen‘“, erklärt Rau, „Ich möchte was Drinnen in der GFA geschieht und die Lebensgeschichten dieser Menschen nach Draußen bringen in die Gesellschaft und in die Gemeinden.“

In der GfA täglich mit Verzweiflung konfrontiert

Neben diesem durchaus politischen Auftrag liegt dem 57-jährigen Theologen ganz besonders die Seelsorge derjenigen, die in der Ingelheimer GfA zum Teil bis zu sechs Monate auf ihre Abschiebung warten, besonders am Herzen. Täglich ist er hier mit der Verzweiflung von Menschen konfrontiert, von denen einige bereits bis zu fünf Jahre in Deutschland gelebt haben. „Sie haben dann oft keine Wurzeln mehr in dem Land, in das sie abgeschoben werden, aber sie sind dann auch hier noch nicht richtig integriert, weil ihr Flüchtlingsstatus oftmals keine Arbeitserlaubnis umfasste.“ Für viele sei es außerdem schockierend, z. T. mitten auf der Straße verhaftet und mit Handschellen abgeführt zu werden, obwohl sie anständig waren, sich nichts zu Schulden kommen ließen. „Das Ankommen in der GfA ist dann noch einmal traumatisch, denn für vier Tage sitzen die Asylsuchenden in einer Einzelzelle. Das Handy ist ihnen abgenommen worden und ihr Kontakt zur Außenwelt ist erheblich eingeschränkt.“

„Ressourcen wecken, um lebendig zu bleiben“

Wen wundert es da, dass das Angebot der Flüchtlingsseelsorge von Pfarrer Rau sehr stark angefragt wird – auch von Muslimen. An diesem Punkt der Hoffnungslosigkeit sieht Rau seine Aufgabe darin, bei seinen Gesprächspartnern „Ressourcen zu wecken, um lebendig zu bleiben.“ „Ich will ihnen helfen“, erklärt er, „diese aussichtlose Situation zu überstehen. Deshalb frage ich mein Gegenüber, aus welcher Quelle er bisher seine Kraft geschöpft hat, und versuche dies wieder ans Licht zu bringen“.  Und er freut sich immer wieder darüber, dass Menschen ihm ihr Herz öffnen. Dieses positive Feedback macht es dem Theologen leichter, mit der alltäglichen Verzweiflung, mit der er in der GfA konfrontiert wird, umzugehen. „Wenn der andere sagt, es hat ihm gutgetan“, so Pfarrer Rau, „dann fällt es mir leichter, die Probleme in meiner Freizeit mal hinter mir zu lassen.“

Aus der Meditation Kraft schöpfen

Dass es ihm gelingen kann, mit Krisensituationen gut umzugehen, das hat der gebürtige Marburger Rau während seiner Zeit als Gemeindepfarrer erlebt, als er auch als Notfallseelsorger arbeitete: „In Krisensituationen empfinde ich eine große Kraft und habe gelernt auf diese Kraft zu vertrauen. Allerdings ist das für mich keine Selbstverständlichkeit und jedes Mal auch ein Wagnis mit offenem Ausgang.“ Die Kontemplation – in der Stille zu sitzen, zu beten und sich für die göttliche Kraft zu öffnen – ist dabei für ihn eine wichtige Kraftquelle. Hier sieht er einen guten Ansatzpunkt, etwas Neues für seine Arbeit in der GfA zu probieren. Denn hier gibt es für die Flüchtlinge, wenn sie einmal aus der Einzelzelle heraus sind, kaum eine Möglichkeit der Ruhe und des Rückzuges. Beraten von dem evangelischen Seelsorger und Kontemplationslehrer, Sven-Joachim Haack, ist Rau im Moment dabei, meditative Elemente, wie z. B. Körperübungen, als Bestandteil seiner in englischer und deutscher Sprache gehaltenen Gottesdienste in der GfA zu entwickeln. Diese sollen seine Gottesdienstbesucher stärken, „in dem sie diese einüben und dann auch mitnehmen können, wenn sie von hier weggehen.“ Selbst schöpft der Theologe auch Kraft aus der Meditation, geht zum Ausgleich Joggen oder „schraubt“ an seinem geliebten Volvo 740 oder seinem alten VW Bus, um den Kopf frei zu bekommen.

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