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Mainz: Ehrung von Wilhelm und Elisabeth Jannasch

"Unser kulturelles Gedächtnis braucht Erinnerung an mutige Menschen"

H. WiegersTrugen beim Kolloquium zu einer angemessenen Würdigung der Verdienste von Wilhelm und Elisabeth Jannasch bei (v.l.): Prof. Dr. Wolfgang Breul, Propst Dr. Klaus-Volker Schütz, der Lübecker Pastor Thomas Baltrock, der Historiker Dr. Hansjörg Buss, der Herrnhuter Studienleiter Dr. Peter Vogt, die Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen Monika Fuhr, Staatssekretär Dr. Denis Alt, der ehemalige Präses der EKHN, Dr. Ulrich Oehlschläger. (Auf dem Foto fehlt: die Hauptamtliche Beigeordnete der Stadt Mainz, Marianne Grosse).

Ein wissenschaftliches Kolloquium erinnerte in der Mainzer Christuskirche an Pfarrer Dr. Wilhelm Jannasch, Gründungsdekan der Theologischen Fakultät Mainz, und seine Frau Elisabeth, die für ihren Widerstand gegen das NS-Regime und die Rettung zahlreicher Juden von der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" aufgenommen wurden.

© Landesarchiv Berlin, C Rep. 118-01, Kartei 13Skeptischer Blick in die Kamera: Bereits 1931 sprach sich Pastor Wilhelm Jannasch öffentlich gegen den Antisemitismus aus. Den NS-Staat lehnte er konsequent ab.

"Mehr denn je brauchen wir heute ein waches, geschärftes Bewusstsein, für die Orte und Gelegenheiten, an denen Antisemitismus wach wird, das haben die jüngsten Auseinandersetzungen und Ereignisse im Zusammenhang mit der Documenta in Kassel gezeigt. Unser kulturelles Gedächtnis braucht Erinnerung. Die Erinnerung an mutige Menschen in der Vergangenheit, die sich engagiert haben, die sich nichts verbieten ließen, ist eine der Quellen aus denen wir schöpfen." Mit diesen Worten begrüßte der Propst für Rheinhessen und das Nassauer Land, Dr. Klaus-Volker Schütz, als Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche in der Mainzer Christuskirche die Teilnehmenden eines Kolloquiums für den Theologen und ersten Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Mainz ab 1946, Dr. Wilhelm Jannasch, und seine Ehefrau Elisabeth. Das Ehepaar hatte in Zeiten des Nationalsozialismus nicht nur konsequent und mutig Kritik am NS-Regime geübt, sondern auch das eigene Leben, die eigene Existenz riskiert und zahlreichen jüdischen Christen und Juden das Leben gerettet.

Mit den höchsten Ehren des Staates Israel ausgezeichnet

Der Staat Israel hat dieses konsequente Einsetzen für das Leben anderer Menschen – auf Anregung der früheren Kirchengemeinde von Pfarrer Wilhelm Jannasch, der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Aegidien in Lübeck – im März 2022 die höchste Auszeichnung zukommen lassen, die dieser Staat zu vergeben hat: Die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, die Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust, hat das Ehepaar als "Gerechte unter den Völkern" aufgenommen. Und der Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte, Prof. Dr. Wolfgang Breul, von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz hat diese Ehrung von Wilhelm Jannasch, der 1946 an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität als Gründungsdekan der Evangelischen Theologischen Fakultät wirkte, und seiner Frau Elisabeth zum Anlass genommen, ein Kolloquium mit namhaften Experten zum Wirken und zur Vita der beiden zu organisieren. Aber nicht nur das Kolloquium war u.a. mit dem Studienleiter der Herrnhuter Brüder-Unität, Dr. Peter Vogt, als einem der profiliertesten Kenner der Herrnhuter Brüdergemeinde sowie dem ausgewiesenen Experten für die deutsche Kirchengeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus, Dr. Hansjörg Buss, hochkarätig besetzt. Auch zahlreiche hochrangige Vertreter von Staat und Kirche waren der Einladung von Professor Breul nachgekommen. Sogar ein Amtsnachfolger von Wilhelm Jannasch in der Lübecker St. Aegidienkirchengemeinde, Pastor Thomas Baltrock, war nach Mainz gereist, um ein Grußwort zu sprechen. Und der ehemalige Präses der EKHN, Dr. Ulrich Oehlschläger, der selbst auch an der Johannes-Gutenberg-Universität an er Evangelisch-theologischen Fakultät im Fach Judaistik promoviert wurde, hatte es sich nicht nehmen lassen, das Schlusswort der Veranstaltung zu sprechen.

Staatssekretär Alt: "Ich wünsche mir viele solcher Bürgerinnen und Bürger"

Im Namen der Landesregierung würdigte der Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit, Dr. Denis Alt, Wilhelm und Elisabeth Jannasch als Menschen, die ihren Glauben so tief in sich trugen, dass "es für sie gar keine andere Wahl gab, als die christliche Nächstenliebe zu allen Menschen. Ich wünsche der Kirche und uns als Gesellschaft viele solcher Bürgerinnen und Bürger". Monika Fuhr, Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen, betonte die Notwendigkeit, dass "sich Menschen immer wieder offen gegen den Antisemitismus aussprechen". In einem von Prof. Breul verlesenen Grußwort erklärte der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Mainz/Rheinhessen, Aharon Ran Vernikovsky, dass dem Ehepaar Jannasch für ihren tapferen und mutigen Widerstand und ihren Einsatz für die Menschenrechte der Respekt der jüdischen Gemeinde in Deutschland gebühre. Die Hauptamtliche Beigeordnete der Stadt Mainz, Marianne Grosse, wies zum einen bedauernd darauf hin, dass im kollektiven Raum der Stadt Mainz bisher keinen Saal und keine Straße an den Gründungsdekan des Theologischen Seminars Jannasch erinnere, und hob zum anderen ein besonderes Verdienst des Theologen Jannasch hervor, dass nämlich an seiner Mainzer Fakultät sehr früh auch Frauen als Studierende zugelassen wurden. Der Lübecker Amtsnachfolger Jannaschs, Pastor Thomas Baltrock, berichtete einerseits von dem Stolz der Gemeinde mit Wilhelm Jannasch einen derart tapferen Pastor gehabt zu haben: "Andererseits sind wir auch Nachfolger derer, die Jannasch 1934 wegen seiner nazikritischen Haltung aus Lübeck verjagt haben und das schickt uns in neue Aufgaben, denn: Der Teufel betritt selten zweimal im selben Kostüm die Bühne. Passen wir auf!"

Schriftsteller Kafka als begeisterter Leser der Dissertation Jannaschs

Im Anschluss warf Dr. Peter Vogt einen Blick auf die Biographie des Theologen Wilhelm Jannasch, der seine Dissertation über die Pietistin Dorothea Gräfin von Zinzendorf schrieb, die sogar von dem Schriftsteller Franz Kafka begeistert weiterempfohlen wurde. Der Mainzer Theologe Prof. Breul berichtete über die schwierigen Bedingungen, die die Anfänge Jannaschs an der Johannes-Gutenberg-Universität kurz nach dem Krieg überschatteten. Es gab keinen Wohnraum im größtenteils durch den Krieg zerstörten Mainz, sodass Familie des Dekans zunächst nach Nierstein ziehen musste. Den knapp 30 zu diesem Zeitpunkt immatrikulierten Theologiestudenten stand zunächst nur ein einziger Seminarraum mit leeren Bücherregalen zur Verfügung. U. a. weil der frischgebackene Dekan Jannasch für die Durchsetzung eines gemeindeorientierten Studiums keinen Konflikt mit der Universitätsleitung scheute, beschreibt ihn der Theologe Breul als "eigenwillig, streitbar und gradlinig".

Dietrich Bonhoeffer besuchte Jannaschs Gottesdienste

Packend begann dann der Berliner Historiker Dr. Hansjörg Buss seinen Hauptvortrag des Abends, indem er aus den Erinnerungen des jüdischen Filmhändlers Max Krakau zitierte. Krakau schildert in seinen Erinnerungen eine Begegnung mit Wilhelm Jannasch in den 1940er Jahren, als dieser ihm für kurze Zeit Zuflucht gewährt. Buss beschrieb die offene Opposition des Ehepaars Jannasch gegenüber dem Nationalsozialismus und dessen völkischer Ideologie, Diese brachte dem Theologen u. a. die Zwangspensionierung und Verhaftungen ein. Als Jannasch dann 1940 doch eine Pfarrstelle in Berlin-Friedenau erhielt, wurde diese zu einer wichtigen Anlaufstelle für rassistisch Verfolgte. Jannasch gehörte von Anfang an der Bekennenden Kirche an. Zu den Besuchern seiner Gottesdienste in Friedenau zählte einer der führenden Kräfte dieser kirchlichen Oppositionsbewegung gegen den NS-Staat, der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Buss beschrieb Jannasch abschließend als scharfsinnigen Gelehrten und eine der herausragenden Persönlichkeiten des Protestantismus des 20. Jahrhunderts.

Stolz auf die Mitgliedschaft Jannaschs in Fakultät und Landeskirche

In seinem Schlusswort ging der ehemalige Präses der EKHN, Dr. Ulrich Oehlschläger, auf das Wirken Wilhelm Jannaschs sowohl an der Johannes-Gutenberg-Universität als auch in der Evangelischen Landeskirche Hessen und Nassau nach dem Zweiten Weltkrieg ein, denn Jannasch war Synodaler der 1., 2. und 3. Kirchensynode. Oehlschläger schloss mit den Worten: "Die Fakultät kann stolz sein auf ihren Gründungsdekan und die Evangelische Landeskirche auf ihren Gründungssynodalen." Die Auswahl der Musikstücke, die der Organist Daniel Seel (Hornbach) für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung ausgewählt hatte, versetzten die Kolloquiumsteilnehmer mit ihren modernen Klangskulpturen in die zerrissene, schwierige Zeit des Widerstands gegen das NS-Regime.

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